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Anti­dia­be­ti­kum

Ein Anti­dia­be­ti­kum (Plu­ral Anti­dia­be­ti­ka) ist ein Medi­ka­ment zur Behand­lung des Dia­be­tes mel­li­tus.

Es gibt meh­re­re Sub­stanz­grup­pen mit ver­schie­den­ar­ti­gen Wirk­prin­zi­pi­en und Ein­satz­ge­bie­ten. Prin­zi­pi­ell unter­schei­det man zwi­schen Insu­lin, insu­li­notro­pen (beta-zyto­tro­pen) und nicht-insu­li­notro­pen (nicht-beta-zyto­tro­pen) Anti­dia­be­ti­ka.[1]

Die über­wie­gen­de Anzahl der Medi­ka­men­te in den bei­den letz­ten Grup­pen wer­den – von eini­gen weni­gen Aus­nah­men abge­se­hen – auf­grund ihrer Ver­ab­rei­chung als Tablet­ten, Kap­seln oder Dra­gees – der Grup­pe der ora­len Anti­dia­be­ti­ka zuge­rech­net.

Insu­li­ne[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Bei abso­lu­tem oder rela­ti­vem Man­gel von kör­per­ei­ge­nem Insu­lin, der sich durch ora­le Anti­dia­be­ti­ka nicht aus­rei­chend behan­deln lässt, muss die­ses durch künst­li­che Insu­lin­prä­pa­ra­te ersetzt wer­den. His­to­risch wur­den die­se aus den Bauch­spei­chel­drü­sen von Schlacht­tie­ren gewon­nen. Heu­te wird Insu­lin nahe­zu aus­schließ­lich rekom­bi­nant (d. h. gen­tech­nisch) und dabei auch wei­test­ge­hend human­ana­log her­ge­stellt, d. h. mit der mensch­li­chen und nicht einer tie­ri­schen Ami­no­säu­re­se­quenz und mit einem human­ana­lo­gen Gly­ko­sy­l­ie­rungs­mus­ter.

Insu­li­notro­pe Anti­dia­be­ti­ka[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Insu­li­notro­pe Anti­dia­be­ti­ka stei­gern die Insu­lin­aus­schüt­tun­gen der beta-Zel­len der Bauch­spei­chel­drü­se und behan­deln somit ein Sekre­ti­ons­de­fi­zit. Die Wir­kung kann bei spä­te­ren Erkran­kungs­sta­di­en abneh­men, da sich die Funk­ti­on der Beta­zel­le mit zuneh­men­der Krank­heits­dau­er erschöp­fen kann.

Sul­fo­nyl­harn­stof­fe[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Sul­fo­nyl­harn­stof­fe sti­mu­lie­ren an den Beta­zel­len der Bauch­spei­chel­drü­se die Insu­lin­se­kre­ti­on, wodurch der Blut­zu­cker­spie­gel gesenkt wird. Kommt es zu einem signi­fi­kan­ten Insu­lin­man­gel durch Erschöp­fung der Bauch­spei­chel­drü­se (soge­nann­tes Sekun­där­ver­sa­gen), muss meist eine Insu­lin­the­ra­pie begon­nen wer­den. Bekann­te Ver­tre­ter sind Gli­ben­cla­mid und Glim­epi­rid.

Glip­tine (DPP4-Inhi­bi­to­ren)[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Inkre­tin-Effekt

Die Glip­tine wir­ken als Inhi­bi­to­ren des Enzyms Dipep­ti­dyl­pep­ti­da­se 4 (DPP4) über den Inkre­tin-Effekt. Die Hem­mung der DPP4 stoppt den Abbau des kör­per­ei­ge­nen Pep­ti­des Glu­ca­gon-like Pep­tid 1 (GLP1), wel­ches wie das blut­zu­cker­stei­gern­de Glu­ca­gon durch Pep­tid­spal­tung aus Prä­pro­glu­ca­gon, dem Glu­ca­gon-Vor­läu­fer­pro­te­in aus 180 Ami­no­säu­ren gebil­det wird. Nach sei­ner Frei­set­zung aus dem Pep­tid wirkt GLP1 aber als Glu­ca­gon-Ant­ago­nist, indem es in einem Rück­kopp­lungs­me­cha­nis­mus die wei­te­re Sekre­ti­on von Prä­pro­glu­ca­gon unter­drückt. Zusätz­lich sti­mu­liert GLP1 auch die Frei­set­zung von Insu­lin. Zuge­las­se­ne Wirk­stof­fe sind Sitag­lip­tin, Vildag­lip­tin und Saxag­lip­tin.

Inkre­tin­mime­ti­ka (GLP1-Rezep­to­r­ago­nis­ten)[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Die Inkre­tin­mime­ti­ka wir­ken eben­falls über den Inkre­tin-Effekt, jedoch im Gegen­satz zu den Glip­tinen, indem sie die Wir­kung des GLP1 an des­sen Rezep­tor simu­lie­ren und nicht, indem sie des­sen Abbau hem­men. Inkre­tin­mime­ti­ka wir­ken auch gewichts­re­du­zie­rend. Die zuge­las­se­nen Inkre­tin­mime­ti­ka Exe­na­tid, Liraglut­id, Dulaglut­id, Albi­g­lut­id und Semaglut­id sind als Poly­pep­ti­de kei­ne ora­len Anti­dia­be­ti­ka, son­dern wer­den sub­ku­tan gespritzt. Ledig­lich Semaglut­id ist in einer Sal­ca­pro­zat-Natri­um-For­mu­lie­rung auch oral anwend­bar.

Gli­ni­de (Sul­fo­nyl­harn­stoff­ana­loga)[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Gli­ni­de sind Sul­fo­nyl­harn­stoff­ana­loga und mitt­ler­wei­le in ihrer Bedeu­tung in den Hin­ter­grund getre­ten. Die Grup­pe der Gli­ni­de setzt sich aus zwei Sub­stan­zen zusam­men, deren Wir­kung in einer schnel­len und kurz­zei­ti­gen Insu­lin­frei­set­zung liegt. Repagli­nid ist seit 1999 und Nategli­nid seit 2000 auf dem deut­schen Markt zuge­las­sen. Seit dem 18. Febru­ar 2016 kön­nen jedoch Gli­ni­de in Deutsch­land nur noch in medi­zi­nisch begrün­de­ten Ein­zel­fäl­len von der GKV erstat­tet wer­den, da ihr Nut­zen nicht aus­rei­chend durch Stu­di­en belegt ist.[2]

Nicht-insu­li­notro­pe Anti­dia­be­ti­ka[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Nicht-insu­li­notro­pe Anti­dia­be­ti­ka wir­ken in der Peri­phe­rie und behan­deln die Insu­lin­re­sis­tenz (Bigua­ni­de, Gli­ta­zo­ne), ver­zö­gern die Glu­ko­se­auf­nah­me aus dem Darm (α‑Glu­ko­si­da­se-Hem­mer) oder för­dern die Aus­schei­dung von Glu­co­se über die Nie­re (SGLT-2-Hem­mer). Es gibt kei­ne Gefahr der Hypo­glyk­ämie, und die Medi­ka­men­te sind ins­be­son­de­re für adi­pö­se Pati­en­ten geeig­net, da sie zu kei­ner Gewichts­zu­nah­me füh­ren.

Bigua­ni­de (Met­formin)[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Bigua­ni­de hem­men die Glu­co­se-Neu­bil­dung (Glu­co­neo­ge­ne­se) in den Leber­zel­len. Sie sen­ken die Resorp­ti­on der Glu­co­se aus dem Darm und stei­gern deren Ver­wer­tung in der Kör­per­pe­ri­phe­rie, z. B. in den Mus­keln. Met­formin ist der ein­zi­ge der­zeit zuge­las­se­ne Wirk­stoff aus der Grup­pe der Bigua­ni­de. Die Indi­ka­ti­on für Met­formin besteht, wenn bei Typ-2-Dia­be­tes, Ernäh­rungs­um­stel­lung und Bewe­gung nicht zum indi­vi­du­el­len HbA1c-Ziel füh­ren.[3] Kon­tra­in­di­ka­tio­nen sind unter ande­rem Keto­azi­do­se und ande­re chro­ni­sche Stoff­wech­sel­ent­glei­sun­gen sowie dia­be­tes­be­ding­te Kom­pli­ka­tio­nen und schwe­re Begleit­erkran­kun­gen.

α‑Glu­co­si­da­se-Hem­mer[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

α‑Glucosidasehemmer ver­zö­gern durch die Hem­mung der α‑Glucosidase die Koh­len­hy­drat-Resorp­ti­on und somit Glu­ko­se­auf­nah­me aus dem Darm in das Blut und mil­dern dadurch die Blut­zu­cker­spit­zen nach koh­len­hy­dratrei­chen Mahl­zei­ten. Die für Typ-2-Dia­be­tes zuge­las­se­nen Sub­stan­zen sind Acar­bo­se, Mig­li­tol und Vog­li­bo­se. Vor­teil­haft ist, dass α‑Glu­co­si­da­se-Hem­mer (im Gegen­satz zu Insu­lin oder Sul­fo­nyl­harn­stof­fen) kei­ne Hypo­glyk­ämien ver­ur­sa­chen.[4]

Gli­flo­zi­ne (SGLT-2-Hem­mer)[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Die Gli­flo­zi­ne sind Inhi­bi­to­ren des SGL­T2-Car­ri­ers und för­dern dadurch die Aus­schei­dung von Glu­co­se über die Nie­re, da sie die pro­xi­ma­le Glu­ko­se­rück­re­sorp­ti­on über die­sen Car­ri­er unter­bin­den. Dies führt direkt zu einer ver­mehr­ten Aus­schei­dung von Glu­ko­se über den Harn und zur Sen­kung des Blut­zu­cker­spie­gels. Zuge­las­se­ne Sub­stan­zen sind Canag­li­flo­zin, Dapagli­flo­zin, Empagli­flo­zin und Ertug­li­flo­zin.

Amy­lin-Ana­loga[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Amy­lin, auch als Insel-Amy­lo­id-Poly­pep­tid (IAPP) bezeich­net, ist ein Pep­tid­hor­mon, wel­ches zu den Mahl­zei­ten nor­ma­ler­wei­se zusam­men mit Insu­lin (aller­dings nur in einem Hun­derts­tel der Men­ge) durch die β‑Zellen des Pan­kre­as pro­du­ziert wird. Wie GLP1 hemmt es nach dem Essen die Glu­kagon­se­kre­ti­on. Bei Dia­be­ti­kern ist die Amy­lin-Aus­schüt­tung ver­rin­gert, was durch Amy­lin-Ana­loga kom­pen­siert wer­den kann. Pramlin­ti­de (US-Han­dels­na­me: Sym­lin) ist ein Ana­lo­gon des Hor­mons Amy­lin und wur­de in den USA für die Behand­lung von Typ-1- und auch von Typ-2-Dia­be­ti­kern zuge­las­sen. Pramlin­ti­de ist damit das ers­te Medi­ka­ment, das seit Insu­lin für Typ-1-Dia­be­ti­ker zuge­las­sen wur­de.[5]

Gli­ta­zo­ne (Insu­lin-Sen­si­ti­zer)[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Gli­ta­zo­ne sind – ähn­lich wie die Gli­ni­de – als Sub­stanz­klas­se heu­te wei­test­ge­hend in den Hin­ter­grund getre­ten. Sie ver­bes­sern die Wir­kung des kör­per­ei­ge­nen Insu­lins mit Hil­fe einer Stei­ge­rung der Syn­the­se der glu­ko­se­auf­neh­men­den GLU­T4-Rezep­to­ren, dem peri­phe­ren Haupt­tar­get des Insu­lins, und sen­ken dadurch die Insu­lin­re­sis­tenz beim Typ 2‑Diabetes. Obwohl die Grup­pe über 10 Sub­stan­zen umfasst, ist in Deutsch­land seit Juni 2011 nur noch der Wirk­stoff Pio­g­li­ta­zon zuge­las­sen. Er darf seit April 2011 nur noch in begrün­de­ten Aus­nah­me­fäl­len zu Las­ten der GKV ver­ord­net wer­den und das Bun­des­in­sti­tut für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te rät auf­grund eines erhöh­ten Krebs­ri­si­kos von sei­ner Ein­nah­me ab.[6]

Web­links[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

Wik­tio­na­ry: Anti­dia­be­ti­kum – Bedeu­tungs­er­klä­run­gen, Wort­her­kunft, Syn­ony­me, Über­set­zun­gen

Ein­zel­nach­wei­se[Bear­bei­ten | Quell­text bear­bei­ten]

  1. Herold: Inne­re Medi­zin. 2011.
  2. Pres­se­mit­tei­lung des G‑BA vom 18. Febru­ar 2016, abge­ru­fen am 13. April 2016.
  3. Richard Dai­ke­l­er, Götz Use, Syl­ke Waibel: Dia­be­tes. Evi­denz­ba­sier­te Dia­gno­sik und The­ra­pie. 10. Auf­la­ge. Kit­tel­ta­schen­buch, Sins­heim 2015, ISBN 978–3‑00–050903‑2, S. 33.
  4. Richard Dai­ke­l­er, Götz Use, Syl­ke Waibel: Dia­be­tes. Evi­denz­ba­sier­te Dia­gno­sik und The­ra­pie. 10. Auf­la­ge. Kit­tel­ta­schen­buch, Sins­heim 2015, ISBN 978–3‑00–050903‑2, S. 41–43.
  5. G. Ryan, T. A. Bris­coe, L. Jobe: Review of pramlin­ti­de as adjunc­ti­ve the­ra­py in tre­at­ment of type 1 and type 2 dia­be­tes. In: Drug Des Devel Ther. 2, 6. Feb 2009, S. 203–214. PMID 19920907
  6. .mw-par­ser-out­put .webarchiv-memento{color:#303030!important}html.skin-theme-clientpref-night .mw-par­ser-out­put .webarchiv-memento{color:#aaaaaa!important}@media(prefers-color-scheme:dark){html.skin-theme-clientpref-os .mw-par­ser-out­put .webarchiv-memento{color:#aaaaaa!important}}Dia­be­tes: Pio­g­li­ta­zon geht wegen Krebs­ri­si­ko vom Markt (Memen­to des .mw-par­ser-out­put .dewiki-iconexternal>a{background-position:center right;background-repeat:no-repeat}body.skin-minerva .mw-par­ser-out­put .dewiki-iconexternal>a{background-image:url(“https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a4/OOjs_UI_icon_external-link-ltr-progressive.svg”)!important;background-size:10px;padding-right:13px!important}body.skin-timeless .mw-par­ser-out­put .dewiki-iconexternal>a,body.skin-monobook .mw-par­ser-out­put .dewiki-iconexternal>a{background-image:url(“https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/30/MediaWiki_external_link_icon.svg”)!important;padding-right:13px!important}body.skin-vector .mw-par­ser-out­put .dewiki-iconexternal>a{background-image:url(“https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/96/Link-external-small-ltr-progressive.svg”)!important;background-size:0.857em;padding-right:1em!important}Ori­gi­nals vom 18. Juni 2011 im Inter­net Archi­ve)  Info: Der Archiv­link wur­de auto­ma­tisch ein­ge­setzt und noch nicht geprüft. Bit­te prü­fe Ori­gi­nal- und Archiv­link gemäß Anlei­tung und ent­fer­ne dann die­sen Hin­weis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.aerzteblatt.de, Deut­sches Ärz­te­blatt, 10. Juni 2011.
source: https://de.wikipedia.org/wiki/Antidiabetikum

(Wiki­pe­dia) Ein Anti­dia­be­ti­kum (Plu­ral Anti­dia­be­ti­ka) ist ein Medi­ka­ment zur Behand­lung des Dia­be­tes mel­li­tus. Es gibt meh­re­re Sub­stanz­grup­pen mit ver­schie­den­ar­ti­gen Wirk­prin­zi­pi­en und Ein­satz­ge­bie­ten. Prin­zi­pi­ell unter­schei­det man zwi­schen Insu­lin, insu­li­notro­pen (beta-zyto­tro­pen) und nicht-insu­li­notro­pen (nicht-beta-zyto­tro­pen) Anti­dia­be­ti­ka. Die über­wie­gen­de Anzahl der Medi­ka­men­te in den bei­den letz­ten Grup­pen wer­den – von eini­gen weni­gen Aus­nah­men abge­se­hen – auf­grund ihrer Ver­ab­rei­chung als Tablet­ten, Kap­seln oder Dra­gees – der Grup­pe der ora­len Anti­dia­be­ti­ka zuge­rech­net.
Die­ser Text basiert auf dem Arti­kel Anti­dia­be­ti­kum aus der frei­en Enzy­klo­pä­die Wiki­pe­dia und steht unter der Lizenz Crea­ti­ve Com­mons CC-BY-SA 3.0 Unpor­ted (Kurz­fas­sung). In der Wiki­pe­dia ist eine Lis­te der Autoren ver­füg­bar.