Über­ge­wicht und Adi­po­si­tas – medi­ka­men­tö­se Behand­lungs-Mög­lich­kei­ten

Adi­po­si­tas-Medi­ka­men­te: Ant­wor­ten auf häu­fi­ge Fra­gen

Fach­in­for­ma­ti­on für Medi­en, Deut­sche Adi­po­si­tas-Gesell­schaft (DAG)

Ber­lin, 13. März 2023. Die media­le Auf­merk­sam­keit für Adi­po­si­tas-Medi­ka­men­te ist in den letz­ten Mona­ten erheb­lich gestie­gen. Die Deut­sche Adi­po­si­tas-Gesell­schaft (DAG) hat aus die­sem Grund Ant­wor­ten auf häu­fig gestell­te Fra­gen zusam­men­ge­stellt.

Fra­gen und Ant­wor­ten zu Medi­ka­men­ten gegen Adi­po­si­tas

Wel­che Rol­le spie­len Medi­ka­men­te bei der Behand­lung von star­kem Über­ge­wicht / Adi­po­si­tas?

Die Grund­la­ge für die Behand­lung von star­kem Über­ge­wicht bezie­hungs­wei­se Adi­po­si­tas ist stets die soge­nann­te Basis­the­ra­pie (Ernährungs‑, Bewegungs‑, Ver­hal­tens­in­ter­ven­tio­nen). Wenn mit­hil­fe die­ser Basis­the­ra­pie kei­ne aus­rei­chen­de Gewichts­re­duk­ti­on erzielt wird, kön­nen beglei­ten­de Medi­ka­men­te die Gewichts­ab­nah­me unter­stüt­zen.[1]

Lan­ge Zeit spiel­ten Arz­nei­mit­tel in der Behand­lung von Adi­po­si­tas eine unge­ord­ne­te Rol­le, da kei­ne sehr wirk­sa­men Medi­ka­men­te mit güns­ti­gem Risi­ko-Nut­zen-Pro­fil ver­füg­bar waren. Dies ändert sich nun mit den moder­nen Wirk­stof­fen aus der Grup­pe der Inkre­tin-Mime­ti­ka, die aus der Dia­be­tes­be­hand­lung stam­men.

Wel­che Medi­ka­men­te sind aktu­ell zur Gewichts­re­duk­ti­on zuge­las­sen? Wo sind die Unter­schie­de?

Aktu­ell sind in Deutsch­land zur Gewichts­re­duk­ti­on die ver­schrei­bungs­pflich­ti­gen Medi­ka­men­te Orli­stat[2],[3] und Liraglut­id 3,0 mg[4] ver­füg­bar. Im Lau­fe des Jah­res wird zudem die Markt­ein­füh­rung von Semaglut­id 2,4 mg erwar­tet, wel­ches seit Janu­ar 2022 eben­falls EU-weit für die Behand­lung von Adi­po­si­tas zuge­las­sen ist.[5] Mit­tel mit dem Amphet­amin Amfe­pra­mon sind hin­ge­gen nicht mehr ver­füg­bar und nicht zeit­ge­mäß, seit die euro­päi­sche Arz­nei­mit­tel-Agen­tur EMA auf­grund des Risi­kos schwe­rer Neben­wir­kun­gen den Wider­ruf der Zulas­sung emp­foh­len hat.[6] Von den aktu­ell in der EU für die Behand­lung von Adi­po­si­tas zuge­las­se­nen Wirk­stof­fen ist Semaglut­id 2,4 mg mit Blick auf das Risi­ko-Nut­zen-Pro­fil aus medi­zi­nisch-wis­sen­schaft­li­cher Sicht die ers­te Wahl.[7],[8],[9]

Mit Tir­ze­pa­tid ist ein wei­te­rer Wirk­stoff in der Ent­wick­lung weit fort­ge­schrit­ten, der den Zulas­sungs­stu­di­en zufol­ge eine noch stär­ke­re Gewichts­ab­nah­me vor­wei­sen könn­te.[10],[11] Bis­lang­ist Tir­ze­pa­tid in der EU aus­schließ­lich für die Behand­lung von Typ-2-Dia­be­tes zuge­las­sen und in Deutsch­land zudem nicht ver­füg­bar.[12] Soll­te Tir­ze­pa­tid auch eine EU-Zulas­sung für die Behand­lung von Adi­po­si­tas erhal­ten, wird die­ses FAQ um wei­te­re Infor­ma­tio­nen zu dem Wirk­stoff ergänzt.

Wie wirkt Orli­stat und wel­che Gewichts­re­duk­ti­on ist zu erwar­ten?

Orli­stat wur­de 1998 in Deutsch­land zur The­ra­pie der Adi­po­si­tas zuge­las­sen. Orli­stat hemmt die Lipa­sen im Magen und obe­ren Dünn­darm, sodass Tri­gly­ze­ride nicht mehr in Fett­säu­ren und Mono­gly­ze­ride gespal­ten wer­den. Die Dosie­rung von Orli­stat soll­te 3x täg­lich zwi­schen 60 und 120 mg zu den Mahl­zei­ten betra­gen. Durch eine wei­te­re Dosis­er­hö­hung wird kein zusätz­li­cher Effekt erzielt.[13] Die Fett­aus­schei­dung mit dem Stuhl­gang wird erhöht, sodass ein Kalo­rien­ver­lust ent­steht. Die durch­schnitt­li­che Gewichts­re­duk­ti­on in kli­ni­schen Stu­di­en liegt bei cir­ca 4 Kilo­gramm nach einem Jahr. Zu den uner­wünsch­ten Wir­kun­gen gehö­ren ins­be­son­de­re die gas­tro­in­testi­na­len Beschwer­den wie Fett­stüh­le, abdo­mi­nel­le Schmer­zen, Fla­tu­lenz und häu­fi­ger Stuhl­drang. Die­se Neben­wir­kun­gen füh­ren nicht sel­ten zu einem The­ra­pie­ab­bruch.

Wie wirkt Liraglut­id und wel­che Gewichts­re­duk­ti­on ist zu erwar­ten?

Liraglut­id ist ein soge­nann­ter GLP-1-Rezep­tor-Ago­nist, der seit 2015 für die Behand­lung der Adi­po­si­tas ab einem BMI = 27 kg/m² mit Begleit­erkran­kung oder einem BMI = 30 kg/m² ohne Begleit­erkran­kun­gen zuge­las­sen ist. Liraglut­id bewirkt neben einer Blut­glu­ko­se­sen­kung auch einen gewichts­re­du­zie­ren­den Effekt.

Nach dem der­zei­ti­gen Kennt­nis­stand erfolgt der gewichts­re­du­zie­ren­de Effekt haupt­säch­lich über eine zen­tral­ner­vö­se Wir­kung durch Signal­kas­ka­den in Hirn­ker­nen des Hypo­tha­la­mus im Sin­ne einer Reduk­ti­on von Hun­ger, Appe­tit und nach­fol­gen­der Nah­rungs­auf­nah­me. Zudem konn­te unter der The­ra­pie mit Liraglut­id bei Men­schen mit Typ-2-Dia­be­tes mit einer Dosie­rung von 1,8 mg Tag eine signi­fi­kan­te kar­dio­vas­ku­lä­re Risi­ko­re­duk­ti­on nach­ge­wie­sen wer­den.[14] Die emp­foh­le­ne Dosis zur Gewichts­re­duk­ti­on liegt bei 3 mg sub­ku­tan ein­mal täg­lich. Für die The­ra­pie des Typ 2 Dia­be­tes ist eine Dosie­rung von 1,2 mg und 1,8 mg ein­mal täg­lich sub­ku­tan zuge­las­sen. Die The­ra­pie soll­te immer mit einer Dosis von 0,6 mg ein­mal täg­lich begin­nen mit einer Dosis­er­hö­hung im 4‑Wochenrhythmus um 0,6 mg auf eine Ziel­do­sis von 3,0 mg täg­lich. Nach 56-wöchi­ger The­ra­pie mit 3 mg Liraglut­id täg­lich konn­te eine mitt­le­re Gewichts­ab­nah­me von durch­schnitt­lich 8 Pro­zent erreicht wer­den. Die Gewichts­ab­nah­me unter Liraglut­id erreicht nach etwa einem Jahr ein Pla­teau.[15]

Uner­wünsch­te Wir­kun­gen betref­fen haupt­säch­lich gas­tro­in­testi­na­le Neben­wir­kun­gen wie Übel­keit und abdo­mi­nel­le Beschwer­den, die meist nur zu Beginn der The­ra­pie auf­tre­ten. Daher ist eine stu­fen­wei­se Anpas­sung der Dosis im jeweils 4 Wochen-Inter­vall not­wen­dig. Schwer­wie­gen­de uner­wünsch­te Ereig­nis­se wie z.B. eine aku­te Pan­krea­ti­tis tre­ten sehr sel­ten auf – im SCA­LE-Stu­di­en­pro­gramm bei 0,3 Pro­zent der Pati­en­ten unter Liraglut­id und 0,1 Pro­zent unter Pla­ce­bo.[16] 

Wie genau wirkt Semaglut­id und wel­che Gewichts­re­duk­ti­on ist zu erwar­ten?

Semaglut­id stammt aus der Grup­pe der Inkre­tin-Mime­ti­ka und ist – wie Liraglut­id – ein soge­nann­ter GLP-1-Rezep­tor-Ago­nist. Es han­delt sich um ein nach­ge­bil­de­tes Darm­hor­mon, wel­ches unter ande­rem das Sät­ti­gungs­ge­fühl ver­stärkt, das Hun­ger­ge­fühl senkt, die Magen­ent­lee­rung ver­lang­samt und so die Gewichts­ab­nah­me unter­stützt. Semaglut­id wird mit­tels einer stift­ar­ti­gen Sprit­ze (Pen) ein­mal wöchent­lich als sub­ku­ta­ne Injek­ti­on ver­ab­reicht. Gemäß EU-Zulas­sung kann Semaglut­id 2,4mg bei Patient:innen mit einem BMI = 30 kg/m² sowie bei Patient:innen mit einem BMI von = 27 kg/m² und min­des­tens einer gewichts­as­so­zi­ier­ten Begleit­erkran­kung zum Ein­satz kom­men.[17] Für die Behand­lung des Typ-2-Dia­be­tes ist Semaglut­id bereits seit Febru­ar 2018 in der Dosie­rung 1 mg zuge­las­sen.

Bei einer Kom­bi­na­ti­on einer Basis­the­ra­pie und einer Anwen­dung von Semaglut­id 2,4mg (wöchent­lich) liegt die durch­schnitt­li­che Gewichts­re­duk­ti­on der Zulas­sungs­stu­die zufol­ge bei Men­schen mit Adi­po­si­tas, die nicht an Dia­be­tes erkrankt sind, nach einem Jahr bei etwa 15 Pro­zent des Aus­gangs­ge­wichts. Jede:r Drit­te Patient:in erreicht dem­nach sogar eine Gewichts­re­duk­ti­on von min­des­tens 20 Pro­zent.[18] Das sind deut­lich grö­ße­re Effek­te als mit den älte­ren Wirk­stof­fen Orli­stat[19] oder Liraglut­id[20] bis­lang mög­lich waren und erklärt, wes­halb Semaglut­id aktu­ell so stark im Zen­trum der öffent­li­chen und fach­li­chen Auf­merk­sam­keit steht.

Wie steht es um die Neben­wir­kun­gen bei Semaglut­id?

Semaglut­id ist ins­ge­samt rela­tiv gut ver­träg­lich, sofern die Dosis lang­sam gestei­gert wird. Die häu­figs­ten Neben­wir­kun­gen sind gas­tro­in­testi­na­le Beschwer­den wie Übel­keit, Erbre­chen, Ver­stop­fung und Durch­fall sowie damit kor­re­lie­ren­de Kopf­schmer­zen.[21] Im Rah­men der Zulas­sungs­stu­die für die Adi­po­si­tas-Behand­lung haben etwa 7 Pro­zent der Patient:innen die Behand­lung auf­grund von Neben­wir­kun­gen inner­halb eines Jah­res vor­zei­tig abge­bro­chen im Ver­gleich zu 3 Pro­zent unter Pla­ce­bo.[22] Die Daten zur kar­dio­vas­ku­lä­ren Sicher­heit bei Patient:innen mit Adi­po­si­tas ste­hen noch aus[23], posi­ti­ve Ein­flüs­se auf ver­schie­de­ne Risi­ko­fak­to­ren konn­ten bereits gezeigt wer­den.[24] Bei der Behand­lung von Patient:innen mit Typ-2-Dia­be­tes konn­te das güns­ti­ge Risi­ko-Nut­zen-Pro­fil bereits durch End­punkt-Daten belegt wer­den.[25],[26]

Ergän­zung vom 23.06.2023: Im Juni 2023 erklär­te die euro­päi­sche Arz­nei­mit­tel­be­hör­de EMA, dass eine neue Stu­die dar­auf hin­weist, dass bei Men­schen mit Typ-2-Dia­be­tes unter Behand­lung von GLP-1-Medi­ka­men­ten ein erhöh­tes Risi­ko für Schild­drü­sen­krebs bestehen könn­te. Die Behör­de hat die Her­stel­ler der Pro­duk­te um wei­ter­füh­ren­de Infor­ma­tio­nen und Daten gebe­ten. Wie sich das auf die über­ge­ord­ne­te Nut­zen-Risi­ko­be­wer­tung aus­wirkt, ist der­zeit noch offen.[33]

Für wen sind die Medi­ka­men­te geeig­net und für wen nicht?

Anders als in der Bericht­erstat­tung und den sozia­len Medi­en teil­wei­se ver­mit­telt wird, sind die neu­en Medi­ka­men­te kei­ne leicht­fer­tig ein­zu­set­zen­den „Abnehm-Sprit­zen“ für die all­ge­mei­ne Bevöl­ke­rung. Es han­delt sich viel­mehr um ver­schrei­bungs­pflich­ti­ge Arz­nei­mit­tel zur ergän­zen­den Behand­lung von krank­haf­tem Über­ge­wicht bezie­hungs­wei­se Adi­po­si­tas.

Auch wenn Semaglut­id rela­tiv gut ver­träg­lich ist, müs­sen Nut­zen und Risi­ko gut abge­wo­gen wer­den. Semaglut­id ist ver­schrei­bungs­pflich­tig und gehört zwin­gend unter ärzt­li­che Kon­trol­le. Arz­nei­mit­tel zur Gewichts­re­duk­ti­on sol­len nach ein­hel­li­ger Ein­schät­zung kei­nes­falls unkon­trol­liert als Abnehm-Mit­tel für die All­ge­mein­be­völ­ke­rung ohne Vor­lie­gen der Indi­ka­ti­on ange­wen­det wer­den.[27],[28]

Müs­sen Betrof­fe­ne die Medi­ka­men­te dau­er­haft ein­neh­men?

Die aktu­ell vor­lie­gen­den Daten spre­chen dafür, dass es nach Abset­zen von Semaglut­id wie­der zu einer deut­li­chen Gewichts­zu­nah­me kommt und somit für die meis­ten Betrof­fe­nen eine dau­er­haf­te Ein­nah­me nötig ist, um das redu­zier­te Kör­per­ge­wicht zu hal­ten.[29] Für eini­ge Patient:innen könn­te auch eine Inter­vall­the­ra­pie in Fra­ge kom­men. Hier­zu feh­len noch wis­sen­schaft­li­che Daten.

Wie teu­er ist die Behand­lung mit Semaglut­id und was zahlt die Kran­ken­kas­se?

In den Medi­en ist teil­wei­se von vier­stel­li­gen Prei­sen die Rede. Die­se Anga­ben bezie­hen sich auf Lis­ten­prei­se in den USA. Däne­mark ist das ers­te Land in Euro­pa, das bereits mit Semaglut­id 2,4 mg belie­fert wird. Dort kos­tet die Adi­po­si­tas-Behand­lung zwi­schen 180 und 320 Euro im Monat.[30]

Wie teu­er eine Adi­po­si­tas-Behand­lung mit Semaglut­id in Deutsch­land sein wird, steht noch nicht fest. Die Betrof­fe­nen wer­den die Kos­ten in der Regel aber selbst über­neh­men müs­sen. Das fünf­te Sozi­al­ge­setz­buch schließt Arz­nei­mit­tel zur „Regu­lie­rung des Kör­per­ge­wichts“ und „Züge­lung des Appe­tits“ von der Kos­ten­er­stat­tung durch die Kran­ken­kas­sen aus.[31] Sofern kei­ne gesetz­li­che Ände­rung am ent­spre­chen­den Para­gra­fen erfolgt, wird auch das in Arbeit befind­li­che „Dise­a­se Manage­ment Pro­gram“ für Adi­po­si­tas die neu­en Arz­nei­mit­tel nicht erstat­tungs­fä­hig machen kön­nen.[32]


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