Per­so­nen­waa­gen: Viel Licht, noch mehr Schat­ten

Personenwaagen: Viel Licht, viel Schatten

Über 50 Pro­zent der Deut­schen sind über­ge­wich­tig, 20 Pro­zent sogar adi­pös (also rich­tig fett!), rund 12 Pro­zent machen eine Diät, so berich­tet die Bun­des­re­gie­rung in der 2008 ver­öf­fent­lich­ten “Natio­na­len Ver­zehr­stu­die II” [1]. Da ist doch anzu­neh­men, dass der zen­tra­len Maß­ein­heit – dem Kör­per­ge­wicht in Kilo­gramm – bei ihrer Mes­sung mit einer Waa­ge eine eben­so zen­tra­le Bedeu­tung zukom­men soll­te. Doch weit gefehlt: Der deut­sche Übergewichts-“Papst” Prof. Dr. Alfred Wirth, Bad Rothen­fel­de, ver­liert in sei­nem maß­ge­ben­den Lehr­buch “Adi­po­si­tas” kein Wort über die kor­rek­te Bestim­mung des Kör­per­ge­wichts mit geeig­ne­ten Wie­ge-Ein­rich­tun­gen [2].

Infor­ma­ti­ons-Text “Elek­tro­ni­sche Per­so­nen-Waa­gen – wie sie funk­tio­nie­ren

Oder: Die For­scher der oben erwähn­ten Natio­na­le Ver­zehr­stu­die ver­wen­de­ten bei ihren Haus­be­su­chen zur Bestim­mung des Kör­per­ge­wich­tes Bade­zim­mer-Waa­gen, deren Wie­ge­be­reich bei 120 Kilo­gramm endet (obwohl vie­le unter­such­ten Per­so­nen weit­aus schwe­rer waren!) [1]. Kein Wun­der, dass auch die Gesundheitsberatungs-“Experten” der vie­len bun­ten Zeit­schrif­ten oder in Radio, Fern­se­hen und Inter­net in ihren stän­dig neu auf­ge­koch­ten Bei­trä­gen zu Gewichts-Ver­rin­ge­rung nie­mals auf die kor­rek­te Mes­sung des Kör­per­ge­wichts ein­ge­hen. Selbst Ver­brau­cher­schutz-Ein­rich­tun­gen wie die Stif­tung Waren­test infor­mie­ren die Ver­brau­cher nicht über die erheb­li­chen Qua­li­täts­un­ter­schie­de von Per­so­nen­waa­gen. Genau­so wenig wie die vie­len Ärz­te, die ihren Pati­en­ten “regel­mä­ßi­ge Gewichts-Kon­trol­le” als eine der häu­figs­ten Gesund­heits-Emp­feh­lun­gen mit auf den Weg geben.

Heil­kun­de  Wo Ärz­te oder Kran­ken­pfle­ge­per­so­nal über die Behand­lung von Pati­en­ten ent­schei­den, Ope­ra­tio­nen durch­füh­ren oder in der Reha­bi­li­ta­ti­on die nöti­gen Maß­nah­men zur schnel­len Gene­sung über­wa­chen, spielt das Gewicht des Men­schen eine ent­schei­den­de Rol­le. Aus die­sem Grund hat die euro­päi­sche Gemein­schaft bereits vor über zehn Jah­ren dafür gesorgt, dass im Bereich der Heil­kun­de zur Gewichts-Ermitt­lung aus­schließ­lich geeich­te Waa­gen ein­ge­setzt wer­den dür­fen (zum Bei­spiel Patienten‑, Säuglings‑, Stuhl- und Bet­ten­waa­gen). Dies soll sicher­zu­stel­len, dass Pati­en­ten nicht gefähr­det sind, durch unzu­rei­chen­de Qua­li­tät der Gerä­te ein Risi­ko ein­zu­ge­hen (Euro­päi­sche Richt­li­nie über nicht­selbst­tä­ti­ge Waa­gen 90/384/EWG). Medi­zi­ni­sche Per­so­nen­waa­gen gehö­ren aber auch zu den Medi­zin­pro­duk­ten, die nach der Richt­li­nie 93/42/EWG (MPG, Medi­zin­pro­duk­te­ge­setz) in den Ver­kehr gebracht wer­den kön­nen. In Deutsch­land gilt bis auf wei­te­res die Rege­lung, dass für medi­zi­ni­sche Per­so­nen­waa­gen grund­sätz­lich bei­de Richt­li­ni­en anzu­wen­den sind. In Zwei­fels­fäl­len gilt die Waa­gen­richt­li­nie 90/384/EWG, da sie die spe­zi­el­le­ren Anfor­de­run­gen ent­hält.

Eichung  Medi­zi­ni­sche Per­so­nen­waa­gen müs­sen geeicht sein. Die Eichung ist die Prü­fung eines Mess­ge­rä­tes auf die Ein­hal­tung der Bau­vor­schrif­ten und die Prü­fung sei­ner rich­ti­gen Anzei­ge inner­halb der Eich­feh­ler­gren­zen. Die Gül­tig­keits­dau­er der Eichung von Per­so­nen­waa­gen und mecha­ni­schen Waa­gen im Kran­ken­haus-Ein­satz beträgt 4 Jah­re (Aus­nah­me: Bet­ten­waa­gen und Roll­stuhl­waa­gen: 2 Jah­re). Bei Säug­lings­waa­gen beträgt sie 4 Jah­re – egal ob in einer Pra­xis oder im Kran­ken­haus auf­ge­stellt. Geeich­te Per­so­nen­waa­gen an ande­ren Auf­stel­lungs­or­ten, zum Bei­spiel einer Arzt­pra­xis, müs­sen ledig­lich bei Repa­ra­tu­ren erneut geeicht wer­den. Hin­weis: Die Genau­ig­keit von geeich­ten Per­so­nen­waa­gen liegt im Bereich bis 150 Kilo­gramm bei ±75 Gramm, dar­über bei ±150 Gramm.

Semi­pro­fes­sio­nel­ler Bereich  In Pfle­ge-Ein­rich­tun­gen, wäh­rend der Reha­bi­li­ta­ti­on, in Kur­hei­men, in Medi­cal Well­ness-Ein­rich­tun­gen, in zahl­rei­chen Fit­ness- oder Sport-Stu­di­os kom­men oft Prä­zi­si­ons­waa­gen zum Ein­satz, die eine ver­gleich­ba­re Qua­li­tät wie die oben erwähn­ten medi­zi­ni­schen Per­so­nen­waa­gen haben, aber nicht geeicht sind. Sol­che Waa­gen kön­nen viel­leicht nicht so exakt das “wirk­li­che” Kör­per­ge­wicht ange­ben, die Mes­sun­gen sind trotz­dem genau und erlau­ben es vor allem, Ver­än­de­run­gen des Kör­per­ge­wich­tes zu erfas­sen. Dies kann medi­zi­nisch wich­tig sein, um zu prü­fen, ob sich bei einer chro­ni­schen Erkran­kung das Gewicht ver­än­dert. Für vie­le Gesun­de ist zudem wich­tig, ob sich ihr Kör­per­ge­wicht im Rah­men von Abnehm-Pro­gram­men ver­än­dert.

Bade­zim­mer-Waa­gen: Anzei­ge des “gefühl­ten Gewichts”

Bade­zim­mer-Waa­gen  Was schließ­lich bei jedem zwei­tem Bau­markt, Bil­lig-Dis­coun­ter, Dro­ge­rie-Markt oder Inter­net­shop in Mas­sen ange­bo­ten wird, kann im bes­ten Fall als “bild­li­che Dar­stel­lung des gefühl­ten Kör­per­ge­wichts” bezeich­net wer­den. Die Gerä­te sind in Fol­ge des Preis­dum­pings mit einer unge­nau­en Mess­tech­nik ver­se­hen – kön­nen also bau­art­be­dingt über­haupt nicht exakt mes­sen. Dass eine Eichung bei der feh­len­den Mess­ge­nau­ig­keit prin­zip­be­dingt unmög­lich ist, ver­steht sich von selbst. Um das grund­le­gen­de Man­ko aus­zu­glei­chen, wird ver­sucht, die Gerä­te über einen bil­li­gen Preis, eine anspre­chen­de Optik oder nicht erfüll­ba­re Genau­ig­keits-Ver­spre­chen zu ver­kau­fen (zum Bei­spiel zwei Stel­len hin­ter dem Kom­ma …!). Oder – seit eini­gen Jah­ren – mit Funk­ti­ons­er­wei­te­run­gen, die eben­falls weder Funk­ti­ons- noch Exakt­heits-Ver­spre­chen erfül­len (allen vor­an die Kör­per-Fett- oder “Bio­im­pe­danz-Waa­gen” im Bil­lig­preis­seg­ment).

Abneh­men  Alle Men­schen, die absicht­lich und gezielt ihr Gewicht ver­rin­gern wol­len, soll­ten regel­mä­ßig das Kör­per­ge­wicht schrift­lich pro­to­kol­lie­ren, um so den Gewichts­ver­lauf und damit die Aus­wir­kun­gen der Maß­nah­men (Diät, Bewe­gungs­pro­gramm und ande­res) auf das Kör­per­ge­wicht ver­fol­gen zu kön­nen. Das Pro­blem: Mit bil­li­gen Bade­zim­mer-Waa­gen ist die Auf­zeich­nung eines aus­sa­ge­kräf­ti­gen Gewichts­ver­laufs unmög­lich. Wer lang­fris­tig erfolg­reich Gewichts­kon­trol­le betrei­ben will, kommt des­halb kaum um die Anschaf­fung einer qua­li­ta­tiv geeig­ne­ten Waa­ge (zum Bei­spiel Soehn­le 7800) her­um. Die Anschaf­fung einer teu­ren (eich­fä­hi­gen) Per­so­nen­waa­ge in Pri­vat­haus­hal­ten ver­bes­sert die Mess-Ergeb­nis­se zur Auf­zeich­nung lang­fris­ti­ger Gewichts­ver­läu­fe hin­ge­gen nicht signi­fi­kant wei­ter.

Hin­weis:  Bil­li­ge Bade­zim­mer-Waa­gen mit häu­fi­gen, unvor­her­seh­ba­ren und oft star­ken Abwei­chun­gen der Mess-Ergeb­nis­se sind eine Kata­stro­phe für Abnehm­wil­li­ge. Eine Waa­ge soll­te näm­lich – im Sin­ne eines Bio­feed­back-Trai­nings – immer eine genaue und ver­läss­li­che Rück­mel­dung des aktu­el­len Kör­per­ge­wichts geben. Die­ses ist schließ­lich die Fol­ge der Maß­nah­men, mit denen Über­ge­wich­ti­ge ver­su­chen, ihr Gewicht zu ver­rin­gern. Falsch­mel­dun­gen kön­nen die­ses Rück­mel­de-Sys­tem erheb­lich durch­ein­an­der brin­gen – Abnehm­wil­li­ge kön­nen kei­ne Bezie­hung zwi­schen durch­ge­führ­ten Maß­nah­men (zum Bei­spiel Erhö­hung der kör­per­li­chen Akti­vi­tät) und Gewicht her­stel­len. Dass Her­stel­ler und Ver­käu­fer von Bil­lig-Waa­gen die­ses Pro­blem leug­nen, ist ver­ständ­lich. Abnehm­wil­li­ge ohne hoch­wer­ti­ge Waa­ge zu Hau­se soll­ten jedoch eher auf eine Kör­per­ge­wichts-Wägung ver­zich­ten. Oder sich nur in der Arzt­pra­xis oder in ver­ant­wor­tungs­voll aus­ge­rüs­te­ten Fit­ness-Stu­di­os auf eine geeich­te Waa­ge stel­len.

Kos­ten  Digi­ta­le Bade­zim­mer-Waa­gen gibt es bereits ab 10 Euro – ihre manch­mal drei­stel­li­gen LCD-Anzei­ge täu­schen eine Genau­ig­keit vor, die es nicht gibt. Mit­tel­klas­se-Waa­gen mit akzep­ta­bler Mess­tech­nik kos­ten ober­halb von 350,- bis 400,- Euro. Die eich­fä­hi­gen Per­so­nen­waa­gen begin­nen bei rund 800,- Euro. Die wich­tigs­ten Her­stel­ler sind Seca Deutsch­land, → Soehn­le und → ADE.

Tipps

  • Waa­ge immer auf fes­tem Grund auf­stel­len (Flie­sen, Kacheln, Par­kett), nie­mals auf wei­chem Unter­grund (Tep­pich).
  • Waa­ge immer am glei­chen Ort auf­stel­len.
  • Waa­ge muss gera­de aus­ge­rich­tet sein.
  • Bei Bade­zim­mer-Waa­gen immer mög­lichst mit­tig, mög­lichst an glei­cher Posi­ti­on mes­sen (hilf­reich ist es, die Fuß­kon­tu­ren mit einem Filz­stift auf­zu­ma­len).
  • Immer zum glei­chen Zeit­punkt im Tages­ver­lauf wie­gen, am bes­ten Mor­gens gleich nach dem Auf­ste­hen.
  • Vor dem Wie­gen nichts essen oder trin­ken.
  • Auch ande­re Bedin­gun­gen beim Wie­gen gleich hal­ten: Zum Bei­spiel erst nach dem mor­gend­li­chen Was­ser­las­sen wie­gen.
  • Die Wägung im Bade­zim­mer ist opti­mal, wenn sie ohne Klei­dung erfolgt. Sonst muss das Gewicht der Beklei­dung beim Mess­ergeb­nis berück­sich­tigt wer­den.
  • Wäh­rend der Wägung nach Mög­lich­keit völ­lig ruhig ste­hen.
  • Beim Abneh­men immer Pro­to­koll füh­ren (Tag, Uhr­zeit, Kör­per­ge­wicht, Beson­der­hei­ten).

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Gesund­heits­be­ra­ter, Ber­lin, April 2016.
Bild­nach­weis
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Quel­len
[1] Bell S, Braun G, Brom­bach C, Eisin­­ger-Watzl M, Götz A, Hart­mann B, Heu­er T, Heyer A, Hil­big A, Huth R, Korn L, Krems C, Möse­ne­der J, Olters­dorf U, Pfau C, Pust S, Rich­ter A, Sie­­we-Rein­ke A, Straß­burg A, Tsch­i­da A, Vásquez-Caicedo AL, Wag­ner U: Natio­na­le Ver­zehrs­stu­die II – Die bun­des­wei­te Befra­gung zur Ernäh­rung von Jugend­li­chen und Erwach­se­nen (Ergeb­nis­be­richt Teil 1). Max Rub­­ner-Ins­ti­­tut (Bun­des­for­schungs­in­sti­tut für Ernäh­rung und Lebens­mit­tel), Karls­ru­he, 2008 (PDF).
[2] Wirth A, Hau­ner A: Adi­po­si­tas: Ätio­lo­gie, Fol­ge­krank­hei­ten, Dia­gno­se, The­ra­pie. Sprin­ger Medi­­zin-Ver­­lag, Hei­del­berg, 2013 (ver­sand­kos­ten­frei kau­fen).