Bak­te­ri­en im Darm

Schlank durch gesunde Darmflora?
Schlank durch gesun­de Darm­flo­ra?

Ursa­chen von Über­ge­wicht (Fol­ge 6 von 14)

Wirk­lich auf­re­gend sind die moder­nen For­schun­gen zur Ver­ur­sa­chung von Über­ge­wicht durch Ver­än­de­run­gen unse­rer “Darm­flo­ra”. Was ist damit gemeint? Gebo­ren wird jeder Mensch mit einem keim­frei­en, ste­ri­len Darm. Mit der Geburt beginnt dann eine mas­si­ve Besied­lung durch Bak­te­ri­en. Die Bak­te­ri­en gelan­gen von Mut­ter, Vater und aus der direk­ten Lebens­um­welt in den Darm des Säug­lings. Sie bil­den die soge­nann­te “Darm­flo­ra” oder das “Darm-Mikro­bi­om”. Durch die Aus­prä­gung der fami­liä­ren Darm­flo­ra, durch erb­li­che Eigen­schaf­ten des Säug­lings oder durch regio­na­le Beson­der­hei­ten ent­wi­ckelt jeder Mensch dann eine völ­lig indi­vi­du­el­le, lebens­lang nur ihm eige­ne Darm­flo­ra, so ein­zig­ar­tig wie ein Fin­ger­ab­druck (etwa ab dem ers­ten Lebens­jahr).

Mensch und Bak­te­ri­en bil­den einen “Super-Orga­nis­mus”

Bei Erwach­se­nen leben allein im Ver­dau­ungs­trakt etwa 100 Bil­lio­nen Bak­te­ri­en aus min­des­tens 1.000 ver­schie­de­nen Arten. Die rund drei Kilo­gramm wie­gen­de Darm­flo­ra ist für unser Leben und unse­re Gesund­heit unver­zicht­bar. Sie stellt für uns wich­ti­ge Vit­ami­ne her, ver­wan­delt Nah­rungs-Bestand­tei­le in nütz­li­che Zucker oder Polys­ac­cha­ri­de, för­dert die Darm-Durch­blu­tung und ‑Beweg­lich­keit (“Peris­tal­tik”), ver­nich­tet frem­de Mikro­or­ga­nis­men, die uns über die Nah­rung errei­chen (“Kolo­ni­sie­rungs-Resis­tenz”), lässt unser Abwehr­sys­tem her­an­rei­fen oder trai­niert lebens­lang unse­re Immun­zel­len [1].

Wel­che Mil­lio­nen Jah­re alte evo­lu­tio­nä­re Erfah­rung und Intel­li­genz da mit uns zusam­men exis­tiert, wird dar­an deut­lich, dass allein das Erb­gut aller Mikro­or­ga­nis­men im Ver­dau­ungs­sys­tem (“Mikro­bi­om”) mehr Erb­an­la­gen ent­hält als der gesam­te mensch­li­che Kör­per (mehr als 3,3 Mil­lio­nen Gene im Ver­gleich zu rund 23.000 Gene) [2]. Moderns­te Metho­den (“DNA-Sequen­zie­rung”) zei­gen seit weni­gen Jah­ren, wie unglaub­lich dif­fe­ren­ziert das Mikro­bi­om im Darm ist und wie vie­le bis­lang völ­lig unbe­kann­te Bak­te­ri­en noch zu ent­de­cken sind [3]. Die Kom­bi­na­ti­on mensch­li­cher und Mikro­bi­om-Antei­le nennt die moder­ne Bio­lo­gie heu­te “Super-Orga­nis­mus” (also einen aus ver­schie­de­nen Arten zusam­men­ge­setz­ten Orga­nis­mus).

Über­ge­wicht durch geschä­dig­te Darm-Bak­te­ri­en

Superorganismus Mensch
Super­or­ga­nis­mus Mensch

Neue Stu­di­en zei­gen jetzt, dass Ver­än­de­run­gen die­ser Darm­flo­ra auch wesent­lich zu krank­ma­chen­dem Über­ge­wicht bei­tra­gen [4]. Die Bele­ge hier­für sind recht gut. Ich nen­ne nur eini­ge weni­ge Aspek­te (da ich spä­ter aus­führ­li­cher wie­der auf die­ses The­ma zurück­kom­men wer­de):

  • Über­ge­wich­ti­ge Men­schen oder Ver­suchs­tie­re haben eine typisch unter­schied­lich zusam­men­ge­setz­te Darm­flo­ra als schlan­ke Men­schen oder Ver­suchs­tie­re.
  • Wird Darm­flo­ra von über­ge­wich­ti­gen Men­schen oder Rat­ten auf schlan­ke Rat­ten über­tra­gen, ent­wi­ckeln die­se Über­ge­wicht. Ein ent­spre­chen­der Men­schen­ver­such wird als unethisch betrach­tet, da unklar ist, wie man die­se Art von Über­ge­wicht wie­der “hei­len” kann.
  • Im Rah­men des mit meh­re­ren hun­dert Mil­lio­nen Dol­lar von der US-Regie­rung geför­der­ten “Human Micro­bio­me Pro­jects” wird jetzt auch unter­sucht wer­den, wel­che Bak­te­ri­en Über­ge­wicht ver­ur­sa­chen, und wel­che davor schüt­zen könn­ten.
  • Durch die gigan­ti­sche Über­zahl bak­te­ri­el­ler Zel­len im Ver­gleich zu mensch­li­chen Zel­len wird neu­er­dings ange­nom­men, dass unser Mikro­bi­om sei­ne Nähr­stoff-Bedürf­nis­se sehr genau steu­ern kann. Und damit unter ande­rem auch unse­re Nah­rungs­auf­nah­me.
  • “Prä­bio­ti­ka” sind vom Men­schen nicht ver­dau­ba­re Bal­last­stof­fe, meist Koh­len­hy­dra­te, die jedoch ger­ne von unse­ren Darm­bak­te­ri­en “gefres­sen” wer­den. Mitt­ler­wei­le ist klar, dass bestimm­te Prä­bio­ti­ka die Zusam­men­set­zung der Darm­bak­te­ri­en ver­än­dern kön­nen. Und hier­durch sogar gewichts­ver­rin­gern­de Effek­te erziel­bar sind. Die For­schun­gen hier­zu ste­cken jedoch noch in den Kin­der­schu­hen.
  • Gera­de ist auch klar gewor­den, dass inten­si­ve­re sport­li­che Akti­vi­tä­ten die Zusam­men­set­zung der Darm­flo­ra von Über­ge­wich­ti­gen ver­än­dern. Und zwar in Rich­tung des Darm-Mikro­bi­oms von Nor­mal­ge­wich­ti­gen. Dies ist eine wei­te­re Erklä­rung, war­um Kraft- und Aus­dau­er­trai­ning beim Abneh­men nach­hal­tig hilf­reich sind [5].

“Dys­bio­se” – der Natur­me­di­zin schon lan­ge bekannt, auch wich­ti­ge Ursa­chen

Wäh­rend all die­se Erkennt­nis­se für die moder­ne Medi­zin völ­li­ges Neu­land sind, das die For­scher vol­ler Stau­nen betre­ten, sind die wesent­li­chen Aus­sa­gen für Natur­heil­kund­ler über­haupt nichts Neu­es. Sie berich­ten schon seit Jahr­zehn­ten über die “Dys­bio­se” im Darm, also eine feh­ler­haf­te, krank­ma­chen­de Zusam­men­set­zung der Darm-Bak­te­ri­en. Und ver­su­chen, die­se Dys­bio­se mit einer Viel­zahl mal mehr, mal weni­ger erfolg­rei­cher Ver­fah­ren zu behan­deln.

Gesunde Darmflora durch Sport
Gesun­de Darm­flo­ra durch Sport

Viel wich­ti­ger aber: Die Natur­me­di­zin hat sehr genau ana­ly­siert, woher die­se Dys­bio­se stammt. Eine der Haupt­ur­sa­chen ist näm­lich die Behand­lung von bak­te­ri­el­len Infek­tio­nen mit Anti­bio­ti­ka. Die­se Medi­ka­men­te töten weit­ge­hend wahl­los nicht nur die krank­ma­chen­den Erre­ger zum Bei­spiel auf der Haut, in der Bla­se oder in den Lun­gen. Son­dern sie töten auch vie­le Bak­te­ri­en unse­res lebens­not­wen­di­gen Mikro­bi­oms. Und es ist klar, dass schon weni­ge Anti­bio­ti­ka-Behand­lun­gen im Leben aus­rei­chen, um die Darm­flo­ra nach­hal­tig für den Rest des Lebens zu schä­di­gen. Beson­ders schlimm sind dabei die häu­fi­gen medi­zi­nisch sinn­lo­sen Anti­bio­ti­ka-Behand­lun­gen von Babys und Kin­dern [6].

Und: Kaum ein zivi­li­sa­to­ri­scher Ein­fluss der Moder­ne hat so mäch­tig das Leben der Men­schen ver­än­dert und steht in so engem Zusam­men­hang mit der welt­wei­ten Über­ge­wichts-Epi­de­mie (und vie­len ande­ren Zivi­li­sa­ti­ons-Krank­hei­ten) wie der mas­sen­haf­te Ein­satz der Anti­bio­ti­ka ab Ende der 40iger Jah­re des letz­ten Jahr­hun­derts [7, 8].

Aus natur­me­di­zi­ni­scher Sicht beto­nen die­se Erkennt­nis­se: Für die Behand­lung von Über­ge­wicht ist die Kennt­nis der mög­li­chen Ursa­chen meis­tens über­flüs­sig. Das Über­ge­wicht hat sich seit Jah­ren und Jahr­zehn­ten meist schon ver­selbst­stän­digt. Jetzt ist wirk­sa­me The­ra­pie ange­sagt – mit Inter­vall-Fas­ten, Sport oder Wirk­stof­fen, die die kör­per­ei­ge­ne Gewichts­re­gu­la­ti­on wie­der nor­ma­li­sie­ren. Aber: Die neu­en Erkennt­nis­se zur Ent­ste­hung von Über­ge­wicht sind wich­tig, um die­ser Gei­ßel der Mensch­heit in Zukunft bes­ser vor­zu­beu­gen. Zum Bei­spiel mit dem weit­ge­hen­den Ver­zicht auf eine Anti­bio­ti­ka-The­ra­pie (“Anti­bio­ti­ka sind die Beru­hi­gungs­mit­tel der Ärz­te”) oder ihrem Ein­satz nur bei medi­zi­nisch wirk­lich not­wen­di­gen Fäl­len [9].

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Gesund­heits­be­ra­ter, Ber­lin, 31. August 2014.
Bild­nach­wei­se
• Corel Cor­po­ra­ti­on, 1999.
• fres­hidea, 2013 (fotolia.com, 36081960).
• Corel Cor­po­ra­ti­on, 1999.
Quel­len
[1] Gor­kie­wicz G: Bedeu­tung der nor­ma­len Darm­flo­ra für Gesund­heit und Krank­heits­ent­ste­hung. J Gas­tro­en­te­rol Hepa­tol Erkr. 2009; 7(1):15–8.
[2] Lynn Mar­gu­lis & Dori­on Sagan: Micro­c­os­mos – Four Bil­li­on Years of Evo­lu­ti­on from Our Micro­bi­al Ances­tors. Touch­stone Books, New York, 1986.
[3] Deth­lef­sen L, Rel­man DA: Incom­ple­te reco­very and indi­vi­dua­li­zed respon­ses of the human distal gut micro­bio­ta to repea­ted anti­bio­tic per­tur­ba­ti­on. Proc Natl Acad Sci USA. 2011 Mar 15;108 Sup­pl 1:4554–61.
[4] Angel­a­kis E, Armougom F, Mil­li­on M, Raoult D: The rela­ti­onship bet­ween gut micro­bio­ta and weight gain in humans. Future Micro­bi­ol. 2012 Jan;7(1):91–109.
[5] Petriz BA, Cas­tro AP, Almei­da JA, Gomes CP, Fer­nan­des GR, Kru­ger RH, Perei­ra RW, Fran­co OL: Exer­cise induc­tion of gut micro­bio­ta modi­fi­ca­ti­ons in obe­se, non-obe­­se and hyper­ten­si­ve rats. BMC Geno­mics. 2014 Jun 21;15:511.
[6] Azad MB, Bridgman SL, Becker AB, Kozyrs­kyj AL: Infant anti­bio­tic expo­sure and the deve­lo­p­ment of child­hood over­weight and cen­tral adi­po­si­ty. Int J Obes (Lond). 2014 Jul 11.
[7] Raoult D: Obe­si­ty pan­de­mics and the modi­fi­ca­ti­on of diges­ti­ve bac­te­ri­al flo­ra. Eur J Clin Micro­bi­ol Infect Dis. 2008 Aug;27(8):631–4.
[8] Kosie­wicz MM, Zirn­held AL, Alard P: Gut micro­bio­ta, immu­ni­ty, and dise­a­se: a com­plex rela­ti­onship. Front Micro­bi­ol. 2011;2:180.
[9] Buben­zer RH: Wahn: Aus­rot­tung aller Bak­te­ri­en. Sodbrennen-Welt.de, Ber­lin, Febru­ar 2014 (Voll­text).