Ursachen von Übergewicht (Folge 11 von 14)
Stig Bengmark, ehemals Professor an der schwedischen Universität von Lund, einer der weltweit innovativsten und renommiertesten Chirurgen und ein ungewöhnlich kreativer zivilisations-kritischer Vordenker [1] beschäftigt sich derzeit mit der Frage, wie Übergewicht und andere Zivilisationskrankheiten entsteht. Seine These knüpft nahtlos an Folge 6 „Bakterien im Darm“ und ihre Bedeutung für die Entstehung von Übergewicht an (Volltext). Bengmark sieht die in jener Folge beschriebene Dysbiose (bakterielle Fehlbesiedlung des Darms) ebenfalls als kausal an, hebt aber als wesentlichen Faktor hierfür die moderne Ernährung hervor. Diese sei im Vergleich zur Ernährung unserer Vorfahren derartig verarmt an Ballaststoffen, dass viele unserer Darmbakterien – die sich ja wesentlich von Ballaststoffen ernähren – regelrecht verhungern. Dadurch wird das Wachstum anderer Bakterien-Gruppen gefördert, die unsere Gesundheit auf komplexe Weise schädigen können. Besonders gesunde Darmbakterien-Familien wiederum werden bei Ballaststoffmangel benachteiligt [2].
Aus der Ballaststoff-Verarmung der Ernährung – unsere Vorfahren nahmen mindestens zehnmal mehr Obst, Gemüse und Ballaststoffe zu sich! -, ergeben sich verschiedene Folgen:
- durch die hierbei auftretende Darm-Dysbiose vermehren sich Darmbakterien, die Zucker produzieren (der dann auch dem Menschen zusätzlich zu seiner ohnehin zuckerreichen Ernährung als unnötiger Energieträger zur Verfügung steht)
- das bei ausreichender Ballaststoff-Versorgung von Signalstoffen der Darmbakterien ausgelöste Sättigungsgefühl bleibt aus
- die Dysbiose stört auch unser Immunsystem, was Übergewicht und das Auftreten anderer Erkrankungen weiter fördert (bauchbetontes Übergewicht wird als komplexe Entzündungsreaktion verstanden). Millionenfach eingesetzte Arzneimittel wie Säureblocker oder Hochdruckmittel verstärken, so Bengmark, diese krankmachenden Effekte einer Dysbiose
- der Mangel an Ballaststoffen und ausreichender Mengen von „gesunden“ Darmbakterien erhöht auch die Durchlässigkeit der Darmwand für krankmachende Einflüsse. Zum Beispiel von bestimmte Bakterien (Sepsis), von Nahrungsbestandteile, die Unverträglichkeiten (zum Beispiel Weizenkleber) oder Allergien (zum Beispiel Erdnüsse) auslösen und vieles anderes mehr.
Kommentar: Bengmarks Vorschläge zur „Vorbeugung“ und „Heilung“ vieler Zivilisationskrankheiten lesen sich streckenweise wie aus einem „Handbuch der Naturheilkunde“ entnommen. Spannend, wie ein Wissenschaftler, der aus dem Herzen der Schulmedizin kommt, ähnliche Schlussfolgerungen wie die Naturheilkunde zieht! Ich werde später darauf zurückkommen. Vorab jedoch eine seiner auch bei Übergewicht wichtigen Einschätzungen: Mit einer kleinen Pille, ein paar Äpfeln mehr pro Woche oder sonstigen halbherzigen Maßnahmen kann das Problem Übergewicht nicht gelöst werden. Nur eine beherzte Änderung des Lebensstils, der Ernährungsweise, der körperlichen Aktivität oder der seelischen „Hygiene“ führt zu einer nachhaltigen Gesundheit ohne Übergewicht.
Anmerkung: Häufig werden Quellstoffe (zum Beispiel Pektin) als „natürliche“ Appetitzügler empfohlen. Zwar ist es richtig, dass Magendehnung ein kurzfristig fressbremsendes, appetitzügelndes Signal ist. Die Quellstoffe gelangen jedoch schon nach kurzer Zeit in den Darm, viele quellen auch dort erst auf – und sind deshalb wirkungslos.
Autor
• Rainer H. Bubenzer, Gesundheitsberater, Berlin, 14. Oktober 2014.
Bildnachweise
• 11.111 Fotos, Wicomedia / dtp / TerraPix, 2003.
• 11.111 Fotos, Wicomedia / dtp / TerraPix, 2003.
Quellen
[1] Wang X, Andersson R: Outstanding scientists in the world of organ dysfunction. J Organ Dysfunction. 2005;1(1)4–5.
[2] Bengmark S: Gut microbiota, immune development and function. Pharmacol Res. 2013 Mar;69(1):87–113.