Wis­sen­schaft: Der Mensch ist kein Reagenz­glas

Forscher, LaborEin Wun­der­mit­tel aus der Natur sol­len die von Darm­bak­te­ri­en gebil­de­ten „kurz­ket­ti­gen Fett­säu­ren“ (eng­li­sche Abkür­zung: SCFA) sein. Angeb­lich hel­fen die­se bei Zucker­krank­heit, chro­ni­schem Über­ge­wicht und vie­len ande­ren Erkran­kun­gen. Prompt wer­den Bal­last­stoff-Pro­duk­te ange­bo­ten, die die Bil­dung kurz­ket­ti­ger Fett­säu­ren im Dick­darm anre­gen sol­len. Dumm nur, dass die vor­ge­leg­ten „Bewei­se“ für die Wirk­sam­keit alle­samt im Reagenz­glas ent­stan­den sind, nicht aber bei leben­den Men­schen in ihrer nor­ma­len Umwelt.

Schaut man näm­lich die Bal­last­stoff-Wir­kun­gen auf die Darm­bak­te­ri­en leben­der Men­schen an, zeigt sich etwas ganz Ande­res: Zwar kommt es nach dem Ver­zehr bestimm­ter Bal­last­stof­fe, zum Bei­spiel dem Prä­bio­ti­kum Inu­lin (Flo­ra­glück), zu erheb­li­chen Ver­än­de­run­gen bei den Darm­bak­te­ri­en, wie erwar­tet. Aber nicht zu einer erhöh­ten Bil­dung von kurz­ket­ti­gen Fett­säu­ren, wie erhofft. Dies zeigt eine im Novem­ber 2019 publi­zier­te Ana­ly­se von neun hoch­wer­ti­gen Stu­di­en, die bei Men­schen die Inu­lin­ef­fek­te auf Darm­bak­te­ri­en unter­sucht haben [1]. War­um die Inu­lin beding­te Ver­än­de­rung der Darm­flo­ra-Zusam­men­set­zung hilf­reich ist – zum Bei­spiel bei chro­ni­scher Ver­stop­fung -, bleibt also wei­ter­hin unklar. Kurz­ket­ti­ge Fett­säu­ren sind jeden­falls nicht die Ursa­che. Die­se Stu­die macht auch klar, dass Ein­sich­ten aus Reagenz­glas- oder Tier­ver­su­chen oft­mals nicht auf Men­schen über­trag­bar sind. Wer dies trotz­dem ver­sucht, wird sich selbst und ande­re oft in die Irre füh­ren.

Die fran­zö­si­sche Ana­ly­se bestä­tigt übri­gens auch eine Erfah­rung vie­ler Anwender*innen von Flo­ra­glück-Inu­lin: Die Wirk­sam­keit bei chro­ni­scher Obs­ti­pa­ti­on kann von Mensch zu Mensch sehr unter­schied­lich sein. Mal tritt die Wir­kung schnel­ler, mal lang­sa­mer ein, mal sind höhe­re Dosie­run­gen nötig, mal nicht. Die wich­tigs­te Ursa­che ist die – von Mensch zu Mensch – indi­vi­du­ell äußerst unter­schied­lich zusam­men­ge­setz­te Darm­flo­ra (Mikro­bi­om). Hier ist nie­mals eine ein­deu­ti­ge Wir­kung von Inu­lin auf die Ver­än­de­rung des Mikro­bi­oms und hier­durch beding­ter gesun­den­der Effek­te vor­her­sag­bar. Bestä­tigt wird auch die natur­me­di­zi­ni­sche Emp­feh­lung, immer wie­der Flo­ra­glück-Ein­nah­me­pau­sen ein­zu­le­gen, um die „natür­li­che“ Akti­vi­tät der Darm­bak­te­ri­en ohne äuße­re „Hil­fe“ zu beob­ach­ten („kur­mä­ßi­ge Anwen­dung“). Nicht sel­ten zeigt sich dabei, dass sich die Darm­flo­ra erholt hat und eine wei­te­re Anwen­dung von Hilfs­mit­teln wie Flo­ra­glück nicht mehr nötig ist.

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer (Gesund­heits­be­ra­ter Weniger.kg), Ber­lin, 8. Dezem­ber 2019.
Quel­le
[1] Le Bas­tard Q, Cha­pel­et G, Javau­din F, Lepel­le­tier D, Batard E, Montas­sier E: The effects of inu­lin on gut micro­bi­al com­po­si­ti­on: a sys­te­ma­tic review of evi­dence from human stu­dies. Eur J Clin Micro­bi­ol Infect Dis. 2019 Nov 9 (Kurz­fas­sung: DOI | PMID).
Bild­nach­weis
• Sci­ence in HD (unsplash.com, NP6JLl_2C‑c).