Lexikon

Abführ­mit­tel (Teu­fels­kreis)

Stop VerstopfungVer­stop­fung ist ein in der Mensch­heits­ge­schich­te seit Ewig­kei­ten bekann­tes Pro­blem. Schon vor 4500 Jah­ren berich­te­ten die alten Ägyp­ter, dass von Ver­stop­fung und Darm­träg­heit geplag­te Men­schen zum Bei­spiel Rizi­nus­öl ein­nah­men, um ihr Pro­blem zu lösen. Auch wenn Abführ­mit­tel eine lan­ge Tra­di­ti­on haben, wur­den ihre Gefah­ren bis heu­te aber nicht gelöst. Vor allem nicht der von teil­wei­se schwe­ren Gesund­heits­ri­si­ken beglei­te­te Teu­fels­kreis, der bei län­ge­rer Ein­nah­me oft ent­steht.

In Deutsch­land wer­den pro Jahr über 35 Mil­lio­nen Packun­gen Abführ­mit­tel (soge­nann­te Laxan­zi­en) ver­kauft. Die meis­ten davon ohne ärzt­li­ches Rezept! Unter dem Begriff Laxan­zi­en (Mehr­zahl, Ein­zahl: Lax­ans) wer­den ver­schie­de­ne For­men von Abführ­mit­tel zusam­men­ge­fasst, die die Stuhl­ent­lee­rung beschleu­ni­gen und bei einer Ver­stop­fung hel­fen kön­nen. Kein ein­zi­ges der gän­gi­gen Abführ­mit­tel wirkt dabei jedoch ursäch­lich. Sie besei­ti­gen also nicht die Ursa­chen eines trä­gen Darms und der Ver­stop­fung. Viel­mehr wir­ken prak­tisch alle Mit­tel ledig­lich sym­pto­ma­tisch. Sie ver­rin­gern also die Beschwer­den einer Darm­träg­heit – eben die Ver­stop­fung und den dadurch erschwer­ten, oft quä­len­den Stuhl­gang. Es wer­den ver­schie­de­ne Arten von Abführ­mit­teln unter­schie­den:

Che­mi­sche Abführ­mit­tel

Die­se Prä­pa­ra­te in Form von Trop­fen, Zäpf­chen oder Tablet­ten ent­hal­ten als Wirk­stoff bei­spiels­wei­se che­mi­sche Wirk­stof­fe wie Bisa­co­dyl oder Natri­um­pi­co­sul­fat. Sie füh­ren inner­halb weni­ger Stun­den zu dem gewünsch­ten Effekt der Darm­ent­lee­rung. Die meis­ten die­ser Prä­pa­ra­te wir­ken sti­mu­lie­rend auf den Dick­darm, indem sie die Rück­ge­win­nung von Was­ser und Mine­ral­stof­fen (Elek­tro­ly­te) wie Natri­um, Kali­um und Magne­si­um aus dem Dam behin­dern. Die im Darm ver­blei­ben­denden Sal­ze erzeu­gen einen zusätz­li­chen Ein­strom von Was­ser aus dem Kör­per in den Darm und somit eine Art künst­li­chen Durch­fall. Das Pro­blem dabei: Die­se für den Kör­per sehr wich­ti­gen Elek­tro­ly­te ver­las­sen mit dem Durch­fall den Darm und ste­hen unse­rem Orga­nis­mus dann nicht mehr zur Ver­fü­gung. Beim regel­mä­ßi­gen Gebrauch von Abführ­mit­tel über einen län­ge­ren Zeit­raum ent­steht daher oft­mals ein Man­gel an Mine­ral­stof­fen. Und: Ein sol­cher Elek­tro­lyt-Man­gel kann wie­der­um eine aku­te Ver­stop­fung aus­lö­sen und der Teu­fels­kreis ist per­fekt. Eine Fol­ge: Es sind immer grö­ße­re Men­gen an Abführ­mit­teln nötig, um den Darm in Gang zu hal­ten und Stuhl­gang her­bei­zu­füh­ren. Toll für Her­stel­ler und Apo­the­ker, schlecht für die Betrof­fe­nen!

„Gewohn­heits­mä­ßi­ge Obs­ti­pa­ti­on wird durch Abführ­­mi­t­­tel-Ein­­nah­­me geför­dert“.
aus: Petra Hög­ger, Egid Strehl (Hrsg.): Repe­ti­to­ri­um Kli­ni­sche Phar­ma­zie. Govi, Esch­born, 2010 (bei Ama­zon kau­fen).

Ein wei­te­res Pro­blem: Der Darm gewöhnt sich ziem­lich schnell dar­an, dass der Reiz für die Darm­ent­lee­rung von außen kommt, und sen­det bei Stuhl­drang kei­ne eige­nen Signa­le mehr. Der Darm wird immer trä­ger und ein Leben ohne Abführ­mit­tel erscheint nicht mehr vor­stell­bar.

Auch der in der Schweiz täti­ge Arzt Dr. med. Vol­ker Schmie­del warnt:

„Eben­so wie das Schla­fen gehört der Stuhl­gang zu unse­ren natür­li­chen Funk­tio­nen, in die Sie mög­lichst wenig ein­grei­fen, son­dern eher gesche­hen las­sen soll­ten. Weder Schlaf noch Stuhl­gang soll­te man erzwin­gen. Wenn Sie erst ein­mal begin­nen, Schlaf- oder Abführ­mit­tel zu neh­men, ist der Weg in die Abhän­gig­keit bereits gebahnt. Nach weni­gen Wochen regel­mä­ßi­ger Ein­nah­me sol­cher Mit­tel wer­den Sie ohne die­se gar nicht mehr aus­kom­men – spon­ta­ner Schlaf oder Stuhl­gang sind dann fast nicht mehr mög­lich.

Die meis­ten in Deutsch­land ver­trie­be­nen Abführ­mit­tel sind darm­ir­ri­tie­rend oder ent­hal­ten darm­ir­ri­tie­ren­de Sub­stan­zen. Nur wenig bekannt ist, dass gera­de die­se Sub­stan­zen selbst eine Ver­stop­fung begüns­ti­gen.

Kali­um und Magne­si­um sind für die Mus­kel­tä­tig­keit wich­ti­ge Mine­ra­li­en. Oft ist ein Man­gel sogar die Haupt­ur­sa­che für eine Obs­ti­pa­ti­on. Da der Gebrauch der darm­ir­ri­tie­ren­den Sub­stan­zen zu einem Kali­um- und Magne­si­um­man­gel füh­ren kann, wird hier­durch mit­un­ter die Obs­ti­pa­ti­on erst unter­hal­ten, was wei­te­re Abführ­mit­tel erfor­der­lich macht. Die­ser Teu­fels­kreis kann rasch zum Abführ­mit­tel­miss­brauch füh­ren.“
aus: Vol­ker Schmie­del: Ver­dau­ung! 99 ver­blüf­fen­de Tat­sa­chen. Tri­as, Stutt­gart, 2008 (bei Ama­zon kau­fen).

Pflanz­li­che Abführ­mit­tel

Auch Pflan­ze bie­ten eini­ge Sub­stan­zen, die abfüh­ren­de Wir­kung haben kön­nen. Aber Vor­sicht: Selbst wenn auf der Ver­pa­ckung „pflanz­lich“ steht, bedeu­tet dies nicht, dass das Pro­dukt harm­los und sanft ist. Auch die meis­ten pflanz­li­chen Abführ­mit­tel mit Extrak­ten aus Sen­na, Aloe, Rha­bar­ber­wur­zel oder Faul­baum­rin­de wir­ken über das Prin­zip der ver­rin­ger­ten Rück­ge­win­nung von Mine­ral­stof­fen und Was­ser über die Darm­wand. Sie kön­nen daher bei lang­fris­ti­gem Gebrauch zu ähn­li­chen gesund­heit­li­chen Pro­ble­men und dem glei­chen Teu­fels­kreis wie die che­mi­schen Abführ­mit­tel füh­ren.

Osmo­ti­sche Abführ­mit­tel

Zu den soge­nann­ten osmo­ti­schen Abführ­mit­teln gehö­ren zum Bei­spiel Pro­duk­te mit den Wirk­stof­fen Glau­ber- oder Bit­ter­salz oder die Grup­pe der Macro­go­le. Die Bezeich­nung „osmo­tisch“ kommt daher, dass die­se Sub­stan­zen ver­mehrt Was­ser im Darm­in­ne­ren hal­ten und damit das Flüs­sig­keits­ver­hält­nis zwi­schen Darm­wand und Darm­in­ne­rem ver­än­dern. Die Fol­ge ist eine ver­stärk­te Darm­tä­tig­keit, die den Nah­rungs­brei dann schnel­ler abtrans­por­tiert. Da die­se Wirk­stof­fe zu gro­ßen Flüs­sig­keits­ver­lus­ten füh­ren kön­nen, sind sie auf kei­nen Fall für den täg­li­chen Gebrauch geeig­net. Auch Zucker­stof­fe wie bei­spiels­wei­se Milch­zu­cker (Lak­to­se) oder Lak­tu­lo­se kön­nen in grö­ße­ren Men­gen die Darm­tä­tig­keit anre­gen und wer­den daher als Abführ­mit­tel ein­ge­setzt.

„Bei chro­ni­schem Gebrauch ver­ur­sa­chen alle Abführ­mit­tel (Aus­nah­me: Füll- und Ouell­mit­tel und weit­ge­hend auch PEG (Poly­ethy­len­gly­col, Macro­gol))

aus: Tho­mas Karow, Ruth Lang-Roth: Phar­ma­ko­lo­gie und Toxi­ko­lo­gie. Tho­mas Karow, Pul­heim, 2011 (bei Ama­zon kau­fen).

Gleit­mit­tel

Eine ande­re Grup­pe von Abführ­mit­tel sind die soge­nann­ten Gleit­mit­tel, die auf­grund ihrer öli­gen Kon­sis­tenz wie ein Schmier­mit­tel für den Nah­rungs­brei im Darm wir­ken. Hier­zu gehö­ren Wirk­stof­fe wir Par­af­fin oder Gly­ce­rin, die in Form von Zäpf­chen oder Klis­tie­ren in den End­darm ein­ge­bracht wer­den. Dort bil­den sie einen schmie­ri­gen Film auf der Darm­wand und bewir­ken, dass der Stuhl bes­ser nach außen glei­ten kann.

Quell­mit­tel

Zu den soge­nann­ten Quell­mit­teln gehö­ren zum Bei­spiel Floh­sa­men, Kleie oder Lein­sa­men. Das Prin­zip ihrer Wir­kung im Darm beruht auf einer Erhö­hung des Stuhl­vo­lu­mens. Die Quell­mit­tel bin­den Was­ser und quel­len im Darm auf (daher ihr Name). Hier­durch wird die Darm­wand gedehnt, was Deh­nungs-Rezep­to­ren in der Darm­wand reizt. Deren Ner­ven­si­gna­le sor­gen dafür, dass die Darm­be­we­gun­gen in Gang kom­men und der Nah­rungs­brei wei­ter in Rich­tung Darm­aus­gang trans­por­tiert wird. Sie sind eine rela­tiv neben­wir­kungs­ar­me Mög­lich­keit, den Darm in Bewe­gung zu hal­ten. Oft hel­fen schon eini­ge Tee­löf­fel Lein­sa­men im mor­gend­li­chen Müs­li, um die­sen Effekt zu erzie­len.

Doch Vor­sicht: Damit Quell­mit­tel rich­tig wir­ken und auf­quel­len kön­nen, benö­ti­gen sie viel Flüs­sig­keit – mehr als die übli­che Trink­men­ge. Wer­den Quell­mit­tel ohne die­se zusätz­li­che Flüs­sig­keit ein­ge­nom­men, ver­klum­pen sie im Darm und füh­ren zu star­ker Ver­stop­fung bis hin zum voll­stän­di­gen Darm­ver­schluss. Und: Auch bei Quell­mit­teln kommt es zur Gewöh­nung. Dann sind immer grö­ße­re Men­gen nötig, damit es zu befrie­di­gen­dem Stuhl­gang kommt.

Der Ernäh­rungs- und Vor­sor­ge-Exper­te Robert Gray fasst zusam­men:

Abführ­mit­tel sind kei­ne Lösung

Abführ­mit­tel (Laxa­ti­va) regen vor allem die Darm­mo­to­rik an. Die Wir­kung der meis­ten die­ser Mit­tel beruht dar­auf, dass sie den Dick­darm rei­zen und dadurch den Stuhl­gang anre­gen, bis das Abführ­mit­tel zusam­men mit allen Sub­stan­zen, die sich frei im Darm bewe­gen kön­nen, aus­ge­schie­den ist. Dabei zeigt sich jedoch kein beson­de­rer Impuls, irgend­et­was aus­zu­schei­den, das älter als das Abführ­mit­tel selbst ist. Ein Abführ­mit­tel ver­hilft nicht dazu, das im Kolon sta­gnie­ren­de Mate­ri­al so weit zu lockern, dass es aus­ge­schie­den wer­den kann.

Wich­tig: Abführ­mit­tel tra­gen nicht wirk­lich zur Dick­darm­rei­ni­gung bei. Sobald das Abführ­mit­tel den Dick­darm pas­siert hat, wird der Stuhl­gang genau­so trä­ge sein wie eh und je.

Mit ande­ren Wor­ten, nichts ist gesche­hen, um die Abla­ge­run­gen alten Kotes im Kolon zu ent­fer­nen. Dabei ist es gera­de die­se Ansamm­lung von sta­gnie­ren­dem Mate­ri­al an den Dick­darm­wän­den, die der wir­kungs­vol­len Dick­darm­funk­ti­on im Wege steht; und die­ser Umstand führt wie­der­um dazu, dass wir Abführ­mit­tel neh­men wol­len. Die ein­zi­ge dau­er­haf­te Wir­kung von Laxa­ti­va ist bis­her nur die, dass sie den Dick­darm durch Rei­zung und Über­sti­mu­lie­rung schwä­chen und den Orga­nis­mus von ihrem Gebrauch abhän­gig machen.

Um der sta­gnie­ren­den chro­ni­schen Ver­stop­fung im Kolon abzu­hel­fen, unter der fast jeder stän­dig zu lei­den hat, braucht es etwas ganz ande­res als Abführ­mit­tel: etwas, das den vor­han­de­nen alten Kot auf­weicht und lockert, sodass er schließ­lich aus­ge­schie­den wer­den kann. Ein sol­ches Ver­fah­ren gilt als Darm­rei­ni­gung; es bil­det den Schlüs­sel nicht nur zur Kolon-Sanie­rung, son­dern auch zu weit­rei­chen­den gesund­heit­li­chen Wir­kun­gen auf den gesam­ten Orga­nis­mus.“
aus: Robert Gray: Das Darm­hei­lungs­buch. Tri­as, Stutt­gart, 2011 (bei Ama­zon kau­fen).

Also: Abführ­mit­tel sind nicht harm­los und kön­nen eine chro­ni­sche Ver­stop­fung lang­fris­tig ver­schlim­mern – auch wenn es sich um pflanz­li­che Prä­pa­ra­te han­delt. Abführ­mit­tel soll­ten daher nicht über einen län­ge­ren Zeit­raum ohne ärzt­li­che Rück­spra­che ein­ge­nom­men wer­den!

Als Aus­klang ein hoch­ak­tu­el­les Zitat für Fach­leu­te (2017) von den Uni­ver­si­täts-Pro­fes­so­ren Akto­ries und Förs­ter­mann:

„Die regel­mä­ßi­ge Darm­ent­lee­rung wird von den meis­ten Men­schen mit einem Gefühl des kör­per­li­chen und psy­chi­schen Wohl­be­fin­dens asso­zi­iert. Ver­stop­fung (Obs­ti­pa­ti­on) wird oft als unzu­rei­chen­de Selbst­rei­ni­gung emp­fun­den, eine Vor­stel­lung, die auf die mit­tel­al­ter­li­che Vor­stel­lung der Selbst-Ver­gif­tung („Auto­in­to­xi­ka­ti­on“, „hor­ror auto­to­xi­cus“) zurück­geht. Das von der Lai­en­pres­se sug­ge­rier­te Bedürf­nis nach täg­li­chem Stuhl­gang erklärt, war­um Abführ­mit­tel zu den am häu­figs­ten miss­bräuch­lich ein­ge­nom­me­nen Arz­nei­mit­teln gehö­ren.“
Klaus Akto­ries, Ulrich Förs­ter­mann: All­ge­mei­ne und spe­zi­el­le Phar­ma­ko­lo­gie und Toxi­ko­lo­gie (11. Aufl.). Urban & Fischer / Else­vier, Mün­chen, 2017 (bei Ama­zon kau­fen).

Bild­nach­weis
• lan­ta­pix (fotolia.com, 115261323).
• Wiki­pe­dia: Laxan­zi­enab­usus.
• Deut­sche Haupt­stel­le für Sucht­ge­fah­ren: Lax­an­­zi­en-Miß­­brauch.

Abführ­mit­tel